Wertvoller Dreck in schönem Glas
Hunderte von Gläsern stehen im Regal. Wunderschöne, über einhundert Jahre alte Museumsgläser voll mit staubtrockenen Tiefsee-Sedimenten, kleinen Steinchen und Kalkschalen von mikroskopisch kleinen Lebewesen. Die Proben stammen von der Deutschen Tiefsee-Expedition 1898/99. An Bord des Forschungsschiffes Valdivia befanden sich auch Mitarbeiter des Berliner Naturkundemuseums. Immer dann, wenn ein Grundnetz oder Greifer vom Meeresboden zurück an Bord kam, nahm ein Wissenschaftler eine Handvoll des Meeresbodens und füllte ihn in ein Glas. Als Konservierungsmittel diente hochprozentiger Alkohol.
Die Gläser sind von unterschiedlicher Größe und Form. Bei einigen kleinen handelt es sich um mundgeblasene Kugelgläser, die mit einem Korken verschlossen wurden. Andere haben den klassischen Schliffstopfen, der von einem Glasbläser individuell an die einzelnen Gläser angepasst wurde. Es gibt auch verkorkte Gläser, die mit Schweinsblase überzogen wurden, um die Verdunstung des Alkohols zu verhindern. Später trockneten die Gläser jedoch aus, da man offenbar nicht das wertvolle Forschungsmaterial in ihnen erkannte, sondern nur banalen Schlick sah. Die Mehrzahl der anderen Gläser in der Sammlung des Museums, die Tiere enthielten, wurden dagegen regelmäßig mit Alkohol aufgefüllt und haben so die Kriegs- und Nachkriegsjahre unbeschadet überstanden.
Über 110 Jahre standen diese Gläser mit den unscheinbaren Bodenproben in den Regalen der Krebssammlung, ohne dass sich die Forschung dafür interessiert hätte. In vielen Instituten wären sie längst auf dem Müll gelandet – nicht so in einem Museum. Und das zahlt sich jetzt aus: Im letzten Jahr untersuchten Bremer Wissenschaftler, die zum Klimawandel und zur Ozean-Versauerung arbeiten, die Proben. Im Schlick fanden sie winzig kleine Einzeller, die Gehäuse aus Kalk ausbilden. Da diese Lebewesen noch vor den größten Klimasünden der Menschheit gesammelt wurden, konnte man die Schalen mit heute gesammelten Kalkschalen vergleichen. Die Versauerung des Meeres durch das Klimagas CO2 ließ sich anhand der unterschiedlichen Schalendicke und -struktur nachweisen. Diese alten Gläser sind also nicht nur schön anzusehen, ihr Inhalt ist auch für so aktuelle Fragen wie die des Klimawandels von großer Bedeutung.
Weitere Fundstücke der Valdivia-Expedition: Aus der Tiefsee ins Schulbuch.
Wie Klimaforschung anhand solch kleinster Fossilien funktioniert, beschreibt David Lazarus in Mit Mikrofossilien die Zukunft vorhersagen
- Blick in den Sammlungschrank mit Gläsern der Deutschen Tiefsee-Expedition
- Korken als Verschluß eines Sammlungsglases
- Durch Schweinsblase abgedichteter Verschluss eines Sammlungsglases
- Bügelverschluß eines Sammlungsglases
- In der Trockensammlung des Museums