Ein Leben nach zwei Toden
Der „Federbausch am Stiel“ gehört zu den ältesten Präparaten der Vogelsammlung. Es handelt sich, wie man nur schwer erkennen kann, um einen männlichen Meisengimpel, eine asiatische Finkenart. Der Naturforscher Peter Simon Pallas sammelte dieses Tier auf seiner Reise nach Sibirien und in das südliche Russische Reich in den Jahren 1768 bis 1774. Pallas erkannte, dass es sich um eine noch unbekannte Art handelte und nannte sie Loxia sibirica.
Die meisten Exponate dieser Expedition verblieben in der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. Einen kleineren Teil jedoch nahm Pallas später mit nach Berlin. Nach Pallas’ Tod wurde das Meisengimpel-Präparat ins Zoologische Museum Berlin integriert. Im Museumsgebäude überstand es zwei Weltkriege, die es ebenso wie das Gebäude selbst zeichneten. Vermutlich waren es die Druckwellen des Bombeneinschlages vom 3. Februar 1945, die das Präparat so schwer beschädigten, dass es als wissenschaftliches Präparat kaum noch genutzt werden kann. Es ist dokumentiert, dass kleine Vogelpräparate durch diesen Einschlag aus den Fenstern geschleudert wurden. Da dabei auch die Glasscheiben der Vitrinen und Fenster barsten, standen die übrigen Präparate über gewisse Zeit „im Freien“.
Weil die Artbeschreibung des Meisengimpels auf der Grundlage dieses Präparates erfolgte, ist es ein Typus für diese Art und somit für weitere taxonomische Forschung von besonderer Bedeutung. Darüber hinaus sind dieses Exemplar und ein dazugehöriges Weibchen die einzigen dieser Art, welche aus der Pallas-Sammlung überdauerten, da der Petersburger Teil der Sammlung vollständig verloren ging. Deshalb wird es trotz seiner starken Schäden weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Vogelsammlung bleiben. Es wurde soweit aufbereitet, dass kein weiterer Schaden entstehen kann. Ergänzt wurde allerdings nichts, da für wissenschaftliches Arbeiten ausschließlich originale Bestandteile von Bedeutung sind. Wenige charakteristische Merkmale, wie z.B. der lange Schwanz, sind dennoch erkennbar. Außerdem können molekulargenetische Studien oder Analysen zu stabilen Isotopen an kleinen Materialproben durchgeführt werden. So kann ein scheinbar zerstörtes Präparat wie das des Meisengimpels auch nach über 200 Jahren im Museum noch neue Informationen über die Biologie des Tieres geben.
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- Auch das präparierte Meisengimpel-Weibchen wurde so stark mitgenommen, dass nun sein Inneres nach außen zeigt.
- Von links nach rechts: Männlicher Meisengimpel, weilblicher Meisengimpel und eine gleichfalls mitgenomme männliche Wüstengrasmücke
- Unter der Schutzglocke in der Sammlung