Dicke Lippe riskiert
Mit seinem glänzenden Auge wirkt dieser dicklippige Fisch auf dem Aquarell des Tierzeichners Friedrich August Krüger lebendig und frisch. Auf der Grundlage dieses Bildes veröffentlichte der Berliner Arzt Marcus Elieser Bloch 1790 einen Kupferstich samt Artbeschreibung in seiner Naturgeschichte der ausländischen Fische. Er schränkte dabei allerdings ein: „Die Anzahl der Strahlen in der Kiemenhaut, kann ich nicht bestimmen, da ich diesen Fisch, welcher sich in der Linkeschen Sammlung befindet, nur in einer Zeichnung erhalten habe.“
Bloch hatte es also gewagt, eine neue Fischart zu beschreiben, die er nur vom Bild her kannte. Der natürliche Lebensraum und die Herkunft des Tieres waren ihm ebenfalls unbekannt. Da es damals noch keine Lebendhaltung exotischer Fische gab, muss Krüger das tote und in Alkohol konservierte Tier im Naturalienkabinett der Leipziger Apothekerfamilie Linck gesehen haben. Es wurde damals vom letzten Familienspross Johann Heinrich Linck d. J. geleitet, und dieser hatte es offenbar versäumt, Bloch genauere anatomische Details zu liefern. Dennoch benannte er das Tier, das er der Familie der Schnapper (Lutjanidae) zuordnete, nach seinem Besitzer Lutjanus linkii.
Nicht nur die Zeichnung, sondern auch das alte Fischpräparat existieren noch heute: Jahre später, nämlich erst 1840 erwarb Fürst Viktor Otto I. von Schönburg-Waldenburg die historische Sammlung als Grundstock für ein öffentliches Museum in seinem Residenzstädtchen Waldenburg in Sachsen. Dort ist das Präparateglas in einer Vitrine aus den Gründungstagen des Museums ausgestellt. Blochs Fund einer neuen Art beim Apotheker Linck sollte sich bei späteren Revisionen als Irrtum erweisen: Das Tier ist identisch mit einer bereits 1758 benannten Lippfisch-Art. Blochs Benennung nach Linck ist damit für die Wissenschaft nicht mehr gültig.